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Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

    Viele Fälle unsicheren Verhaltens können auf mangelndes Situationsbewusstsein zurückgeführt werden. Daher werden im Rahmen einer Human Factors geleiteten Arbeitssystemgestaltung Maßnahmen entwickelt, die das Situationsbewusstsein unterstützen und verbessern.

    Eine Voraussetzung hierfür ist das Verständnis für die Vorgänge bei der menschlichen Wahrnehmung.

    Was ist Wahrnehmung?

    Das Wort Wahrnehmung entstammt dem althochdeutschen Wort “wara neman”, das bedeutet “darauf achten” (von Heyse, 1958).

    Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess, bei dem wir eingehende Reizempfindungen über unsere Sinnesorgane an unser Gehirn weiterleiten und diese Informationen verarbeiten. Die Informationsverarbeitung wird dabei von Gedächtnis, Gefühlen, Erwartungen, Motivationen und dem Denken beeinflusst. Daher ist das Ergebnis grundsätzlich keine 1:1 Kopie der Wirklichkeit, sondern subjektiv. 

    Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

    Es gibt einen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit: während wir eingehende Reizempfindungen weiterleiten und wahrnehmen, schenken wir nur besonderen Reizen unsere Aufmerksamkeit, nehmen sie bewusst wahr.

    Bild einer Cocktailparty zur Erklärung von Situationsbewusstsein (Situation Awareness)

    Anschaulich erklärt hat das Cherry (1953) mit Hilfe des Cocktailparty Phänomens:

    Wird der eigene Name während eines Partygesprächs in Hörweite genannt, so wechselt die Aufmerksamkeit unmittelbar von der eigenen Unterhaltung hin zu der Unterhaltung, in der der Name erwähnt wurde.

    Begrenzte Kapazität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

    Für die Sicherheitsarbeit ist wichtig zu wissen: Die Kapazität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit ist begrenzt. Als Aufmerksamkeitsumfang wird die Menge der Objekte bezeichnet, die mit einem Blick visuell wahrgenommen werden. Dies sind ca. 7 Elemente +/-2, die bewusst verarbeitet werden können – Miller’s Magical Number Seven (1956). Die genaue Anzahl ist dabei abhängig von bestimmten Faktoren, z.B. Bekanntheit der Gegenstände oder Beleuchtungsintensität.

    Situative und dauerhafte Wahrnehmungsfehler

    Zur Kapazitätsbegrenzung, kommen situative oder dauerhafte Wahrnehmungsfehler hinzu, die bei der Arbeitssystemgestaltung zu berücksichtigen sind. Dauerhafte Wahrnehmungsfehler können pathologische Ursachen haben, z.B. eine Rot-Grün-Sehschwäche oder Tinnitus.

    Einige typische situative Wahrnehmungsfehler sind:

    • Bestätigungsfehler (Confirmation Bias). Der Fehler beschreibt die menschliche Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Ein Beispiel: Eine Führungskraft ermittelt die Leistung des Projektleiters allein anhand ihrer Vorannahmen, ohne Informationen über das Projekt (Termintreue, Budgeteinhaltung) eingeholt zu haben.
    • Illusorische Korrelation. Hier werden Zusammenhänge zwischen unabhängigen Ereignissen wahrgenommen, die objektiv nicht vorhanden sind. Ein Beispiel: “typisch” weibliche Verhaltensweisen, die in der gleichen Häufigkeit bei Männern auftreten.
    • Heuristiken. Das sind Denkstrategien, Faustregeln oder Abkürzungen, die helfen, mit geringem kognitivem Aufwand und in begrenzter Zeit Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen. Sie werden häufig unbewusst verwendet, um Problemlösungen zu vereinfachen, wenn notwendige Informationen fehlen. Ein Beispiel für eine Verfügbarkeitsheuristik: Die Häufigkeit von Ereignissen oder die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens wird anhand der Abrufbarkeit aus dem Gedächtnis geschätzt. Bekannt bei der Beurteilung von Risiken auf Basis der Abrufbarkeit von Unfallereignissen “Wenn ich mir ein Ereignis leicht vorstellen kann, dann wird es wohl häufig vorkommen“. Mehr zu Heuristiken findet ihr z.B. hier.

    Situative Wahrnehmungsfehler werden durch Drogen, Stress oder Müdigkeit verstärkt.

    Gut zu wissen

    Zur Veranschaulichung der Begrenzung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit gibt es zahlreiche Tests im Internet; der bekannteste ist von Simons & Chabris (1999). Ich mag auch “Who dunnit“.

    Für Interessierte haben Simons & Chabris mit “Der unsichtbare Gorilla: Wie unser Gehirn sich täuschen lässt” auch ein unterhaltsames Buch zum Thema Wahrnehmung veröffentlicht. Das Buch von  Kahnemann “schnelles Denken, langsames Denken” ist aus meiner Sicht ein “Muss” für alle, die im Bereich der Arbeitssicherheit arbeiten.


    Danke! Für das Originalfoto an Jose A.Thompson auf Unsplash.

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